Funker Hans Wölbing:

Vom Schiffsjungen zum Funkoffizier

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Lebensläufe und Erlebnisberichte

Ein Beitrag aus Band 2 der gelben Buchreihe "Zeitzeugen des Alltags" von Jürgen Ruszkowski

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 Band 2 - ISBN 978-3-8476-8634-7

Lebensläufe und Erlebnisberichte ehemaliger Fahrensleute

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im Internet bei Ex-Funker Heinrich Busch entdeckt


Ein Junge vom Spreewald geht zur See

Erlebnisse als Decksjunge im Jahre 1942

- abgedruckt im Informationsheft Deutsches Schifffahrtmuseum Bremerhaven 2/1993 -


Der Wunsch, zur See zu fahren kam mir schon im Kindesalter - ohne dass ich den Auslöser dafür anzugeben wüsste. Bereits mit acht Jahren las ich Bücher, die von fernen Ländern, Völkern und von der Seefahrt handelten. Bei der Auswahl der Titel half mir oft Herr Hartwig, einer meiner Lehrer von der Volksschule in Werben, der auch die örtliche Bücherei betreute. Beim damaligen Schülerwettbewerb „Seefahrt ist Not“, an dem ich mich natürlich beteiligte, bekam ich für das Basteln eines Modellschiffes einen Preis des Landkreises Cottbus. Als ich dann aber meine Seefahrerwünsche der Berufsberatung des Arbeitsamtes Cottbus vortrug, stieß ich auf rigorose Ablehnung. Nun denn, es gab auch andere Wege. So schrieb ich, mangels einer genauen Adresse an das Seemannsamt Hamburg und bat um Hilfe. Dort hatte offensichtlich jemand ein Herz für mich. Denn kurze Zeit darauf bekam ich ein Schreiben von der „Zentralstelle für Vorausbildung und Berufslehre in der Seeschifffahrt“ mit der Aufforderung, vorgegebene Bewerbungsunterlagen und den Nachweis der deutschen Staatsbürgerschaft einzureichen. Meine Eltern waren von der Ernsthaftigkeit meiner Absicht zur See zu fahren zunächst überrascht. War es für sie doch beschlossene Sache gewesen, dass ich wie mein Vater Schornsteinfeger werden würde. Nachdem mein Vater mit der „Zentralstelle“ einige Bedenken abgeklärt hatte, bekam ich seine Einwilligung und Unterschrift für den auf drei Jahre festgelegten Lehrvertrag zum Matrosen in der deutschen Handelsmarine.

Schon bald nach meiner Schulentlassung im Frühjahr 1942, im stolzen Alter von 14 Jahren, kam dann die Einberufung zur Schiffsjungenschule STETTIN in Ziegenort. (siehe Foto) Dort begann jede Woche ein Ausbildungskursus mit bis zu 20 Teilnehmern und einem Bootsmann als Lehrer. Jeweils im Wochenabstand liefen vier Kurse gleichzeitig. Untergebracht waren wir in einem großen Schlafsaal im Obergeschoss des Schulgebäudes. Der Tag begann , nach dem obligaten Reinschiff, mit dem allmorgendlichen Antreten in Dreierreihen, exakt auf den Vordermann ausgerichtet, vor der Schule zur Flaggenparade und Musterung durch den Schulleiter, Kapitän Kurowsky, oder dem 1. Offizier. Nach diesem militärisch anmutendem Aufmarsch begann dann der eigentliche Lehrbetrieb: Unterricht in Theorie und Praxis. Zu den Lerninhalten gehörten das Auswendiglernen der Einteilung der Kompassrose in Viertelstrichen ebenso wie deren rechnerische Umsetzung in die Gradeinteilung - eine ganz gemeine Form der Bruchrechnung, Magnetismuslehre, Luken- und Ladegeschirr sowie Schiffs- und Maschinenkunde. Die Vermittlung von Kenntnissen über die Takelung von Seeschiffen sowie der Lichterführung und Ausweichregeln in der Seeschifffahrt. Flaggen-, Länder- und Meereskunde. Bootsdienst, d.h. Umgang mit Rettungsbooten - inklusive Blasen an den Händen. Lernen und Üben in Lichtmorsen und Winken. Tauwerksarbeiten mit Knoten und Spleißen. Als Unterrichtsleitfaden diente das Lehrbuch „Decksarbeit“.

Freizeit war ein Fremdwort. Dafür gab es „Landgang“. Jeden Sonntag marschierten wir in geschlossener Formation, natürlich im Gleichschritt und singend, ins örtliche Kino und in gleicher Weise wieder zurück. Ansonsten war das Verlassen der Schule verboten. Wer dabei erwischt wurde, konnte umgehend nach Hause fahren.

Nach Beendigung des Kurses mit abschließender Prüfung in Seemannschaft und Signaldienst, wurde ich mit noch weiteren drei Jungen vom gleichen Kursus, jeder 14 Jahre alt, per Bahn nach Danzig geschickt. In Neufahrwasser, gegenüber der Westerplatte, lag ein Viermastgaffelschoner - unser Schiff! Lärmend stürmten wir über die Gangway an Deck der „NORDWIND“, deren Verschanzung mit längslaufender Nagelbank so hoch ragte, dass wir kaum hinübersehen konnten.

Der drahtige Bootsmann - im Rentenalter - mit einem goldenen Ring am Ohr, schaute uns verdutzt und ungläubig an und schickte uns dann, nachdem er uns in das Logis eingewiesen hatte, zum Achterdeck. Dort erwartete uns ein stattlicher Zivilist, der Kapitän. Vor dem bauten wir uns in einer Reihe in strammer Haltung auf und meldeten uns zum Dienstantritt an Bord. Richard Peytsch aus Bremen - ehemaliger Seeoffizier der Kaiserlichen Marine und Kapitän auf großer Fahrt - betrachtete uns erst ganz belustigt. Doch dann, nach der Begrüßung, gab er uns zu verstehen, dass so ein martialisches Getue auf Handelsschiffen nicht üblich sei und wir uns ganz locker wie normale Menschen und nicht wie Zinnsoldaten benehmen sollten.

In dem folgenden Gespräch erfuhren wir auch, dass unser Schiff eine Kriegsbeute war und vorher unter sowjetischer Flagge mit einer estnischen Mannschaft gefahren war. Der Name war „MERILIND“ gewesen. Jetzt sollte das Schiff mit einer deutschen Besatzung erneut in Fahrt gebracht werden. Das war, wie wir erfuhren, im dritten Kriegsjahr wegen fehlenden Personals ein Problem. Fast alle wehrfähigen Männer waren jetzt Soldaten, so dass für die Handelsschifffahrt auch auf alte Seeleute und ganz junge Burschen wie uns zurückgegriffen werden musste. Es wurde erwartet, dass wir Schiffsjungen wie Vollmatrosen auf einem besegelten Frachtschiff auch unseren Mann standen.

Nach dieser für uns erstaunlichen Eröffnung, mussten wir erst einmal zum Seemannsamt. Nachdem jeder von uns ein nagelneues Seefahrtsbuch bekommen und die Musterrolle unterschrieben hatte, waren wir nun auch amtlich Besatzungsmitglieder der sehr betagten, noch ganz aus massiven Eichenholz gebauten „NORDWIND“. So nahmen wir uns vor, da es sich um ein hölzernes Schiff handelte, eiserne Seeleute zu werden.

Wieder an Bord, nahm uns gleich der Bootsmann in seine Obhut. Dieser alte Seebär, ein versierter Fachmann und Lehrmeister, war wie ein Vater zu uns. Leicht hatte er es mit uns, dem Kindergarten - wie er zu sagen pflegte – nicht. Jeder Handgriff musste von ihm vorgemacht, erklärt und von uns gleich in praktische Seemannschaft umgesetzt und gekonnt werden. Dabei war er immer und überall stets um unsere Sicherheit besorgt. Als äußerst lästig empfanden wir es nur, dass wir über alles Buch führen mussten. Dieses Ausbildungsberichtsheft wurde dann wöchentlich vom Kapitän abgezeichnet. Eines Abends geschah etwas ganz grässliches. Wir mussten nach Dienstschluss unter Anleitung des Bootsmanns unsere Wäsche und Arbeitskleidung selber waschen. Zuhause hatte Muttern dafür gesorgt. Das war nun vorbei. Nach einer Woche ungewohnt harter Arbeit, war das Schiff seeklar und es hieß „Leinen los“. Die Fahrt währte aber nur kurz: von Danzig nach Gotenhaufen (heute Gdynia), also etwa zehn Seemeilen. Die Distanz reichte aber, mir als erstem von uns die hohe Kunst des Steuerns eines Schiffes nach Kompass und Seezeichen beizubringen.

In Gotenhafen wurde Fracht übernommen. Außerdem bekamen wir noch zwei Jungen von Ziegenort dazu, so dass wir nun mit sechs Decksjungen und einem alten Bootsmann an Deck komplett waren. Dann kam der große Augenblick: Wir liefen zu unserer ersten Seereise aus. Doch die rechte Hochstimmung wollte nicht aufkommen. Zu anstrengend waren die vorangegangenen Tage gewesen - und dann erstmalig auf See! Kein fester Boden unter den Füßen. Alles bewegte sich, nur meine Beine nicht. Zudem war mir nach einiger Zeit hundeelend. Während des ersten richtigen Rudertörns in meinem Leben klammerte ich mich an das durch den Seegang heftig ruckende Steuerrad und bemühte mich, das Schiff auf Kurs zu halten. Das Abendessen war mir schon vorher aus dem Gesicht gefallen und nun verursachte der Petroleumgestank der Kompassbeleuchtung weitere Übelkeit. So hatte ich mir die Seefahrt eigentlich nicht vorgestellt. Aber da muss man eben durch.

In der folgenden Zeit fuhren wir alle möglichen Frachten von und zu den Häfen Rönne, Libau, Windau, Riga und Gotenhafen. Kapitän Peytsch, vor dem Krieg auf weltweiter Fahrt, nannte unsere Seefahrt scherzhaft „Güternahverkehr“. Manchmal gestaltete sich die Übernahme bzw. das Löschen der Ladung etwas umständlich, wenn von Landseite keine Kräne zur Verfügung standen. Dann musste mit bordeigenem Geschirr gearbeitet werden. Dazu wurden die Segel unter die Gaffeln gezurrt, der jeweilige Großsegelbaum aufgetoppt und zum Ladebaum umfunktioniert. Die zugehörigen Ladewinden, mit denen wir auch die Segel setzten, wurden durch einzylindrige Glühkopfmotore angetrieben. Die Kreuzmastwinsch zu bedienen war meine Aufgabe. Von den halbverhungerten sowjetischen Kriegsgefangenen, die oft als Ladungsarbeiter eingesetzt waren, konnte diese Tätigkeit nicht erwartet werden. Den ganzen Tag neben so einem höllisch knatternden Ungetüm zu stehen - einkuppeln, hieven, stoppen, bremsen, auskuppeln, den Baum geien, umkuppeln, fieren, stoppen - schrecklich... Einmal vergaß ich beim Umkuppeln auf die Bremse zu treten. In der Folge rauschte die am Haken hängende Palette, ausgerechnet mit Wasserbomben darauf, wieder nach unten auf den Plattenwagen. Alles ging in Deckung. Nur der aufsichtführende Obermaat der Kriegsmarine stand breitbeinig da und schaute mich nur kopfschüttelnd an. Aber von meinem Posten entbunden wurde ich jedoch nicht.

Nach mehr als vier Monaten an Bord waren wir überzeugt, auch mit den bevorstehenden Winterstürmen fertig zu werden. Bisher hatten wir wohl guten Wind, aber kein sogenanntes schweres Wetter gehabt. Doch unsere gewachsene Seefertigkeit auf diesem Schiff zu beweisen, bekamen wir keine Gelegenheit mehr. In einer Nacht im Oktober 1942, wir befanden uns auf der Reise nach Riga querab von Kap Domesnäss, war ich auf Ausguck. In einem mir mehrere Nummern zu großen Wachgängermantel gehüllt, stand ich fröstelnd auf der Back - den Rücken gegen das Gangspill gestemmt - und starrte in die Dunkelheit. In die gewohnte Begleitmusik, das Jaulen des Windes in der Takelage und das klatschende Rauschen der Bugwelle mischte sich mit einem Mal das Tosen von sich brechenden Wellen. Diese Brandungsgeräusche zu melden drehte ich mich um und sang die Wahrnehmung aus. Da wurde ich auch schon an Deck geschleudert. Ein fürchterliches Krachen und Knirschen unter mir, peitschendes Singen in der Takelage, das Schiff krängte leicht über und machte keine Fahrt mehr.

Wir waren auf ein Riff gelaufen und saßen mit dem Vorschiff auf Unterwasserfelsen fest. Die Gischt der Brandung kam über die Back. Da kam auch schon der Befehl an mich meinen Posten zu verlassen und die Freiwache an Deck zu holen. Doch die Jungs waren bereits von allein ´rausgekommen. Denn es war ja nicht bei diesem einmaligen Bummser geblieben. Mit jeder anlaufenden See wurde unser Schiff angehoben und krachend wieder auf das Riff gesetzt. Jedesmal ging ein Höllenlärm durch Schiff und Takelage. Nachdem wir mühevoll alles noch Bewegliche an Deck und in den Masten festgezurrt hatten, versammelten wir uns auf dem Achterdeck. In dem langsam aufdämmernden Morgen konnten wir in einigen Meilen den dem Kap vorgelagerten Leuchturm Kolgasrags - der während des Krieges unbefeuert war - ausmachen. Offenbar ist unsere Strandung von der Küstenwache bemerkt und gemeldet worden denn ein lettischer Bergungsschlepper hielt auf uns zu, blieb aber dann in etwa einer Seemeile entfernt von uns beigedreht liegen.

In dem dann folgenden Signalverkehr mit der Morselampe wurde uns mitgeteilt, dass ein Abbergen vom Riff nicht möglich sei, da dann der Schlepper selbst in Gefahr geraten würde aufzulaufen. Da sich die Anzeichen mehrten, dass unser Schiff auseinanderbrechen würde, gab Kapitän Peytsch die Order unser Rettungsboot auszusetzen und die „NORDWINDzu verlassen. Also, da das Boot nicht in Davids hing, musste erst einmal der Besanbaum aufgetoppt und das Boot angehievt, dann von der Luvseite an Steuerbord nach Lee zur Backbordseite und außenbords gegeit (geschwenkt) werden, und dann zu Wasser damit. Und das alles mit Muskelkraft - ohne Glühkopfmotor! In das neben der Bordwand auf- und niedertanzende Boot sprang nun einer nach dem anderen hinein, zuletzt der Kapitän. Das war der Ernstfall, für den wir in Ziegenort beim Bootsdienst gedrillt worden waren: Setz´ab, Fangleine los, klar bei Riemen und Ruder´an. Weg vom Schiff und ´raus aus der Brandung.

Nach fast einer Stunde erreichten wir, pudelnass, durchgefroren und am Ende unserer Kräfte den Bergungsdampfer. Nachdem man uns an Bord geholt hatte, Klamotten ausziehen, heiße Brühe trinken und schlafen. Später übernahm uns ein Räumboot der Kriegsmarine und brachte uns nach Riga. Für einige Tage waren wir in einem Soldatenheim untergebracht. Verpflegt wurden wir im nobelsten Restaurant der Stadt. Allerdings hinter einer aus Garderobenständern aufgestellten Abschirmung.

Auf dem Lloyddampfer „ROBERT MÖHRING mit Hunderten verwundeter Soldaten von der Ostfront im Zwischendeck fuhren wir nach Danzig. Unterwegs sprach mich der Bootsmann dieses Schiffes an, ob ich nicht an Bord bleiben wolle. So verlockend dieses Angebot auch war, zur Erlangung eines Offizierspatentes war damals noch eine Segelschiffsfahrzeit von 20 Monaten vorgeschrieben und die wollte ich doch zuerst hinter mich bringen.

In Danzig gab es noch Formalitäten zu erledigen, die Abmusterung, die Auszahlung der Restheuer sowie Bezugscheine für die verlorene Ausrüstung. Dann fuhr ich, um die Vermittlung auf ein anderes Schiff abzuwarten, erst einmal nach Hause in den Spreewald.

Im vollbesetzten Fern-D-Zug der Reichsbahn aus Dirschau fand ich gerade noch einen Platz. Die Mitreisenden im Abteil musterten mich, den Jungen mit dem zusammengerollten Wachgängermantel unter dem Arm als einzigem Gepäck, ziemlich betreten. Es dauerte auch nicht lange, da erschien ein Feldgendarm von der militärischen Zugbegleitung und verlangte meine Papiere. Nachdem er diese geprüft und meine Geschichte gehört hatte, brach von Seiten der Mitreisenden eine Welle von Freundlichkeit über mich herein, die mir noch unheimlicher war, als die vorangegangene Ablehnung. Sogar eine Tafel Schokolade bekam ich geschenkt. Und schon wieder ein Stellenangebot: dieses Mal als Gehilfe an einer Segelsportschule in Bayern. Das ging natürlich auch nicht.

Von der ehemaligen Besatzung der „NORDWIND habe ich im Nachkriegswinter 1945 Kapitän Richard Peytsch in Bremen wieder getroffen. Obwohl selbst ausgebombt und in einer Notwohnung lebend, gab er mir, dem einsamen Jungen aus dem Spreewald ein neues Zuhause .


Mein Weg zur und in der Hochseefischerei

Im Sommer 1945, nach Krieg und Gefangenschaft, kam ich auf der Suche nach Arbeit auch nach Bremen-Vegesack. Ein freundlicher Herr, den ich auf der Straße um einige Auskünfte bat, und der sich als Direktor der Vegesacker Heringsfischerei Gesellschaft entpuppte, wies mir den Weg zu seiner Firma. Dort arbeitete ich geraume Zeit in dessen Landbetrieb und takelte die während des Krieges als Marineschiffe eingesetzten Logger wieder in Fischereifahrzeuge mit auf. Aber wie bei so vielen in dieser Zeit war auch für mich die Ernährung und damit das Überleben ein Problem. Der Hunger zwang mich etwas zu suchen, wo es auch etwas zu Essen gab. Also musterte ich auf dem - von mir mit aufgetakelten - Logger „SPERBER zum Heringsfang an. Am Ende der Saison, im Dezember 1945, bekam ich in Bremen eine Zuzugsgenehmigung. Das war eine von der Militärregierung erlassene Bestimmung, die eigentlich für aus Übersee heimkehrende Seeleute gedacht war und besagte, dass in dem Hafen, in dem abgemustert wurde, Zuzug zu gewähren sei. Nun denn, ich wurde in Bremen abgemustert und wurde damit Bürger der Stadt Bremen mit dem Recht auf Lebensmittelkarten und dergleichen. Arbeit bekam ich auf der AG-Weser-Werft dem Schwimmkran „LANGER HEINRICH. Eine glückliche Fügung wollte es, dass mir Richard Peytsch, Kapitän meines ersten Schiffes 1942, des Viermastschoners „NORDWIND, über den Weg lief und mich, wie einen Sohn, in seine Familie aufnahm. Schlafen musste ich allerdings mangels Platz in der beengten Notwohnung auf dem Dachboden. Seine Frau, aus Bremerhaven stammend, ließ ihre Beziehungen spielen und verschaffte mir eine Stelle als Netzmacher- und Motorenwärter-Praktikant bei der Fischkompany Nord, einer Kutterreederei im Fischereihafen von Wesermünde. Nachdem man mich für versiert genug hielt, musterte ich als Matrose und Motorenwärter auf dem Fischkutter „NORDSTERN dieser Reederei an. Die fünfköpfige Besatzung unter Willi Bamberg waren außer mir, Bremerhavener. Auf diesem Schiff mit der familiär-kameradschaftlichen Atmosphäre hat es mir gut gefallen, bis mir dann ein Missgeschick unterlief.

Nach vielen Fangreisen in die Nordsee, liefen wir einen Tag vor Weihnachten 1946 in Wesermünde ein, um unseren Fang an den Markt zu bringen. Ich fuhr nach Bremen mit einem Sack voll Fische als Weihnachtsgeschenk für meine Gast-Eltern. Als ich dann nach Weihnachten wieder zurückkam, wurde mir gleich mein Seefahrtsbuch mit dem Abmusterungsbescheid in die Hand gedrückt. Ich hatte beim Einlaufen übersehen, dass eine Ölleitung der Umlaufschmierung des Dieselmotors defekt war. Die Folge: ein Kolbenfresser! Ziemlich deprimiert ging ich zum Heuerbüro, um mich wenigstens anzumelden, denn mit einer Chance war zwischen Weihnachten und Neujahr kaum zu rechnen. Doch ich hatte Glück. Es erschien auf Leutesuche der 1. Steuermann des Fischdampfers „LÜTZOW, Karl Schumacher, und nahm mich, froh doch noch einen Mann gefunden zu haben gleich mit zum Seemannsamt.

Eine Stunde später waren wir schon aus der Schleuse und nach vier Tagen Sturmfahrt an der Südküste von Island. So eine Irrsinnsfahrt, mehr unter als über Wasser, wollte ich nicht noch einmal mitmachen. Ich nahm mir vor, nach dieser Reise wieder abzumustern. Als wir jedoch nach drei Wochen wieder in Wesermünde einliefen, war mein Vorsatz von Bord zu gehen, verflogen. Abgesehen davon bekam jeder Mann der Besatzung ein reichliches Fischdeputat und einen Kanister (20 Liter) Lebertran. Nun verfügte ich über soviel Naturalien, die es mir ermöglichten, auf dem "Schwarzmarkt" einen normalen Straßenanzug mit Hut, Mantel und Schuhen einzutauschen und mein abgetragenes Feldgrau an den Nagel zu hängen. Die Besatzung der „LÜTZOW“ war landsmannschaftlich gemischt. Bremerhavener, Dorumer, Ostpreußen, Nordenhamer, Ostfriesen, Sudeten und Spreewälder (ich). Wir haben uns aber alle gut vertragen. Meinen inzwischen 70 Jahre alten Gastvater aus Bremen, Kapitän Peytsch, ließ ich nach jeder Reise kommen, damit er das mir zustehende Fisch-Deputat für seine Familie abholen konnte.

Die wirren Jahre damals ließen mitunter zeittypische Situationen entstehen. Die „LÜTZOW“ war klar zum Auslaufen. Wir warteten nur noch auf den Kapitän. Da gab es an der Gangway achtern eine gewisse Unruhe. Der Koch schrie und tobte und ließ uns schließlich wissen, dass keine Kartoffeln geliefert worden waren. Statt dessen einige Blechkisten mit Trockenkartoffeln. Davon sollten wir nun drei Wochen auf See leben. Nach einer kurzen Debatte beschlossen wir Matrosen und Heizer, etwas zu unternehmen. Die Wahl des Sprechers fiel auf mich, ausgerechnet den jüngsten, gerade 19 Jahre alten Matrosen. Ich verlangte dafür im Gegenzug, dass wir uns alle auf die Pier aufstellen, um meiner vorgetragenen Forderung, der Lieferung von Kartoffeln, Nachdruck zu verleihen. Denn nur gemeinsam, ohne Ausnahme, sind wir stark, war meine Überlegung.

Kapitän Schmick hörte sich das von mir Vorgetragene an und schickte einen Boten zur Reederei. Es dauerte nicht lange, da wurde ich zur Reederei beordert. Im Personalbüro stellte sich der Senior-Chef Max Pust, auch gleichzeitig Präsident des Reederverbandes, breitbeinig vor mich hin. Die Jackettschöße zurückgeschlagen und seine Daumen hinter den Hosenträgern geklemmt, musterte er mich erst einmal geringschätzig von oben bis unten. So ein Imponiergehabe machte auf mich keinen Eindruck. Aber außer gegenseitigem Austausch von Standpunkten und Forderungen gab es kein Ergebnis. Zurück an Bord blieben wir bei der Weigerung, ohne Kartoffeln auszulaufen. Es dauerte noch einige Stunden, dann bekamen wir unsere Kartoffeln und die „LÜTZOW“ konnte die Leinen loswerfen.

Nur der Ordnung halber sei hier erwähnt, dass Lebensmittel sowie Bedarfsgüter jeder Art der Bewirtschaftung unterlagen und offiziell nur gegen Bezugschein, wenn überhaupt, erhältlich waren. Für die speziellen Belange der Fischerei gab es eine Bezugscheinstelle im Fischereihafen am Nordeingang der Auktionshalle X. Bezugscheine für die Ausrüstung der Besatzungen wurden nur gesammelt ausgegeben. Dazu stellte jedes Schiff einen Beauftragten, - spaßig „Wirtschaftsminister“ genannt - der diesen Behördengang für die gesamte Besatzung zu erledigen hatte. Nach dem Vorgang mit den Kartoffeln, bestimmte Kapitän Schmick mich dazu.

Es dauerte nicht lange, da bekam ich Probleme: Es handelte sich darum, dass ich keinen Bezugschein für Schlachthandschuhe bekam. Von diesen Dingern brauchten wir für eine Reise 42 Paar. Für jeden Mann an Deck drei. Die Aussicht, mit bloßen Händen 4.000 Zentner Fische, eventuell bei Frost und Eis, schlachten zu müssen, war nicht auszudenken. Da weitere Bemühungen von mir ohne Erfolg blieben, inszenierte ich wieder einen "wilden Streik" mit der Weigerung zum Fischfang auszulaufen. Erstaunlicherweise wurden die verlangten Schlachthandschuhe schnellstens gebracht. Danach hatte ich mit der Bezugscheinstelle keine Schwierigkeiten mehr. Gelegentlich gab es auch Sonderzuteilungen, Wolldecken, Kojenzeug, Flanellunterwäsche und dergleichen. Das reichte natürlich niemals aus, um allen gerecht zu werden. Für die Zuteilung an Bord galt die Bedürftigkeit des Einzelnen und beschlossen wurde immer gemeinsam.

Meine Absicht, sobald Deutschland wieder eine Handelsflotte haben sollte, die Seefahrtschule für das A5-Patent - Seesteuermann auf großer Fahrt - zu besuchen, hatte ich nicht aufgegeben. Mir fehlten nur noch zwei Monate der damals geforderten 20-monatigen Segelschifffahrtzeit. Die wollte ich mir auf einem Fischkutter erfahren. Die Arbeit auf einem Fischkutter wurde offiziell als Segelschiffszeit gewertet! Also musterte ich von der „LÜTZOW“ nach einer Bordzeit von 16 Monaten ab, um mit dem Fischkutter „BREMEN wieder zum etwas gemütlicheren heimischen Fischfang auszulaufen. Doch dann traf mich, oder besser gesagt uns, ein folgenschwerer Unfall.


Giftgas an Bord des Fischkutters „Bremen“

Abgedruckt im Informationsblatt Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven 1/1993

Es war ein selten schöner Tag, dieser Mittwoch des 26. Mai 1948 in der Ostsee: Mäßiger Wind und strahlender Sonnenschein. Ich war damals 20 Jahre alt und der sogenannte „1.Matrose“ (Winschenmann) auf dem mit sieben Mann besetzten Motorfischkutter „BREMEN“ aus Bremerhaven. Wir fischten mit dem Grundschleppnetz südöstlich von der Insel Gotland. Die Fangergebnisse - hauptsächlich Dorsch - so heißt der Kabeljau in der Ostsee - waren mehr als zufriedenstellend. Es versprach eine gute Fangreise zu werden und wir ahnten nichts Böses. Um so mehr überraschte es uns, als wir bei einem Hol statt einiger Zentner Fische plötzlich zwei große schwarze Holzkisten - wie Särge - als Fangergebnis an Deck zu liegen hatten. Das Netz war durch den ungewöhnlichen Inhalt zerrissen, so dass die meisten Fische noch im Wasser hatten ausrücken können. Auf den wie neu wirkenden Kisten stand deutlich zu lesen: „Luftwaffen-Abwurfmunition“. Dazu eine Reihe von Ziffern und Buchstaben, die für uns keinen Sinn ergaben. Nun denn, während ich mich mit ans Flicken des Netzes machte, klopften die anderen Kameraden die Kisten auseinander. So ein massives Bretterholz, in der damaligen Zeit absolute Mangelware, war uns als Feuerholz hochwillkommen.

Zum Vorschein kamen zwei große Fliegerbomben, je etwa 1,50 m lang. Mit der gleichen Ziffern-Buchstaben-Reihe wie auf den Kisten und zusätzlich zwei umlaufend aufgemalte Streifen in gelber Farbe. Da wir die dummen Dinger beim nächsten Fischgang nicht wieder im Netz haben wollten, wurden sie nicht über Bord geworfen, sondern zum Vorschiff gewuchtet und nahe der Monkeybank am Schanzkleid festgezurrt. Unsere Absicht war, später auf der Heimreise diese Teufelsbrut in Gewässern wo nicht gefischt wird zu versenken. An Gefahr dachte von uns niemand. Es war für uns klar, dass Munition ohne Zünder in Transportverpackung nahezu ungefährlich ist. Die paar im Netz verbliebenen Fische waren schnell verarbeitet, und wir machten wie üblich nach dem Aussetzen des Fanggeschirrs erst einmal Pause. Denn es wurde ja Tag und Nacht durchgefischt, da musste jede Gelegenheit zum Schlafen genutzt werden. Bis zum nächsten Hol würde es noch zwei bis drei Stunden dauern. Unser Logis befand sich unter Deck im Vorschiff, wo wir uns auch zum Schlafen hinlegten.

Nach einiger Zeit wurde ich durch einen erbärmlichen Hustenanfall wach, der sich laufend wiederholte. Dazu kam ein brennender Schmerz in den Augen. Im Mund hatte ich einen Geschmack, wie von verfaulten Kartoffeln. Auf meinen Handrücken, an der Nase und auf der Stirn bildeten sich Brandblasen. Meinen Mitbewohnern erging es sogar noch schlechter als mir. Da gab es kein langes Palaver: ´rein in die Seestiefel, den Niedergang nach oben an Deck. Zunächst sah alles aus wie sonst. Der Alte im Ruderhaus fragte uns natürlich ganz verwundert, was wir denn jetzt schon an Deck wollten, bis zum Netzeinholen sollte es doch noch eine Weile dauern. Da das Schiff vor dem Wind lief, hatte er weder Gasgeruch noch sonst etwas gemerkt beziehungsweise abbekommen. Statt dessen hatte der von achtern nach vorn wehende Wind den ganzen Dunst zu uns nach vorn ins Logis getrieben. Jetzt bemerkten wir auch das breitgefächerte Rinnsal einer sirupähnlichen Flüssigkeit, die von einer der Bomben aus auf das Steuerborddeck herunterlief.

Die schmerzhaften Hustenanfälle nahmen an Intensität zu und die Brandblasen quollen weiter auf. Meine Kameraden, die die Bomben zum Vorsteven gewuchtet hatten, bemerkten nun auch Brandblasen an Unterleib und Oberschenkel. Allmählich kamen wir zu der Erkenntnis, dass es sich bei dem Inhalt der Bomben um einen chemischen Kampfstoff handeln musste, von dem wir während des Krieges unter der Bezeichnung GELBKREUZ gehört hatten.

Für uns gab es jetzt nur noch eins: So schnell wie möglich weg von hier. Ohne sofortige ärztliche Hilfe bestand die Gefahr, dass wir niemals mehr irgendeine Hilfe benötigen würden.

Nach dem Einholen des Netzes warfen wir die verdammten Bomben erst einmal über Bord und schrubbten, so gut es ging, die Senfgassuppe vom Deck. Als einer der Leichtverletzten übernahm ich das Ruder, während unser Dieselmotor das Schiff mit äußerster Kraft in Richtung Kiel jagte. Noch war ich imstande, den Kurs zu halten. Doch nach einiger Zeit konnte ich die Kompassrose nicht mehr erkennen. Damit war auch ich, wie meine Kameraden praktisch blind. Der Alte übernahm nun wieder selbst das Ruder. Fast wahnsinnig vor Schmerzen in den Augen und mit die Brust zerfetzenden Hustenanfällen verkroch ich mich in die Kammer des Alten, denn in dem Vorschifflogis war ein Aufenthalt unmöglich. Zusammengekauert hockte ich nun über Stunden in absoluter Hilflosigkeit in einer Ecke auf dem Boden, hoffte auf ein Wunder und verfluchte die Leute, die so ein Teufelszeug erfunden und hergestellt hatten. An Hinlegen war auch nicht zu denken, denn dann blieb mir bei noch schlimmeren Hustenanfällen ganz die Luft weg.

Unter dem Druck des Elends um sich herum, änderte der Alte auf halbem Wege den Kurs und steuerte den schwedischen Hafen Simrishamn an. Die Hoffnung auf baldige Hilfe ließ mich aus meiner Lethargie erwachen und wieder Lebensmut schöpfen. Ich hangelte mich an Deck und wartete am Backbord-Schanzkleid sitzend auf die Dinge, die nun kommen sollten. Schließlich nahm ich wahr, dass wir in einen Hafen einliefen. Es folgten die typischen Maschinengeräusche beim Anlegen. Ein leichtes Bumsen, wir waren offensichtlich vierkant an die Pier gefahren. Dann Stille an Bord. Etwas entfernt vernahm ich lachendes Stimmengewirr. Es waren Hafenarbeiter beim Verladen von Fischkisten, denn wir waren in einen Fischereihafen eingelaufen. Wahrscheinlich machten sich diese Leute über unser ungewöhnliches Anlegen lustig. Doch dann erstarb die Belustigung abrupt! Ein paar Wortfetzen, schnelle Schritte auf der Kaimauer und unmittelbar danach die dumpfen Geräusche bei uns an Deck springender Menschen. Rufe in schwedischer Sprache. Unsere Festmacherleinen gingen an Land, das Schiff wurde in Längsposition zur Pier gebracht und festgemacht.

Dann packten mich kräftige Fäuste und im nächsten Augenblick befand ich mich sitzend mit nach unten baumelnden Beinen auf dem Rand eines Pritschenwagens neben meinen Leidensgenossen. Dann wurde der Wagen mit der ungewöhnlichen Fracht von den Arbeitern durch das noch schlafende Städtchen Simrishamn zum dortigen kleinen Krankenhaus gezogen und geschoben. Für die kleine Klinik gab es ein ungewöhnliches Erwachen. Da nur Pflegepersonal des Nachtdienstes anwesend waren, mussten schnell Ärzte und Krankenschwestern von zu Hause geholt werden. Nun wurden wir einer nach dem anderen versorgt: Augen ausspülen, Brandwunden ausschaben - damit das noch wirkende Gift aus dem Fleisch kam - und Milch trinken. Schmerzmittel wurden nicht gegeben. Drei Mann blieben im Krankenhaus, die restlichen vier, darunter auch ich, wurden in einem Notlazarett untergebracht. Es dauerte einige Tage, bis ich wieder ein bisschen, wenn auch nur schemenhaft, sehen konnte. Bei Sonnenschein musste ich aber eine Sonnenbrille tragen, die mir eine Krankenschwester schenkte. Die Hustenanfälle ließen im Sitzen etwas nach. Liegen war wochenlang nicht möglich.

Inzwischen wurde unser Schiff von der schwedischen Marine entgiftet. Das behördliche Untersuchungsergebnis bestätigte unsere Vermutung, dass es sich um einen Stoff handelt, der die technische Bezeichnung LOST II trägt. Dieses chemische Kampfmittel ist auch unter dem Begriff Senfgas bekannt und wurde in Deutschland offiziell mit Gelbkreuz bezeichnet. Nicht nur als Gas hat das Zeug eine teuflische Wirkung, sondern verursacht bei direktem Kontakt mit der „Ursuppe“ auch erhebliche Verbrennungen.

Nach einigen Tagen konnten wir, die leichten Fälle, mit unserem Schiff endgültig die Heimreise antreten. Drei meiner Leidensgenossen verblieben im Krankenhaus in Simrishamn. Es war uns in Simrishamn nicht nur ärztliche Hilfe zuteil geworden. Die herzliche und mitfühlende Aufnahme durch die Schweden möchte ich hier dankbar erwähnen. Ganz besonders möchte ich den dortigen Zivilwehrchef Ragnar Kjellmann für seine Hilfe erwähnen. Danke!!!

Zurückkehrend nach Bremerhaven wurden wir schon vor dem Einlaufen auf der Weser von der Wasserschutzpolizei erwartet und wie ein Seuchenschiff in den Vorhafen geleitet. Nachdem festgestellt worden war, dass wir für niemanden mehr eine Gefahr darstellten, wurden wir auf die Unfallstation des Krankenhauses Bürgerpark zu Dr. Gottesleben gebracht. Hauptsache war wohl der für Deutschland typische Papierkrieg. Die weitere Behandlung unserer Verletzungen erfolgte durch Dr. Robatzek, einen Giftgasexperten aus der Zeit des Ersten Weltkrieges.

Neben den lebenslangen Bronchialbeschwerden erlitt ich einen Augenschaden, der meinem Berufsziel, einmal Kapitän zu werden, ein jähes Ende setzte.

In der Seeamtsverhandlung über diesen Unfall wurde von Zeugen ausgesagt, dass in den letzten Kriegsmonaten Unmengen von Güterzügen voll von Gasmunition auf Bahnhöfen und Nebengleisen in Mecklenburg abgestellt waren. Um für die Bevölkerung eine eventuelle Katastrophe zu vermeiden, war schließlich alles auf Schiffe verladen und in der Ostsee versenkt worden.

Ich persönlich bezweifle diese Aussagen, denn die gesamten noch vorhandenen seefähigen deutschen Schiffe, etwa 800, waren seiner Zeit in dem größten und großartigsten Unternehmen, das gemeinsam von der Kriegs- und Handelsmarine durchgeführt worden ist, eingesetzt, um die Bevölkerung der Ostgebiete vor der anrückenden Roten Armee nach Westen in Sicherheit zu bringen. Es dürften etwa 2.116.500 Personen, davon 600.000 verwundete Soldaten gewesen sein. Etwa 20.000 Menschen sind dabei durch Feindeinwirkung und den Verlust von 11 Schiffen ums Leben gekommen.

Nach einer kurzfristigen Erblindung blieben Narben auf der Netzhaut meiner Augen, so dass die Sehschärfe für die Nautikerlaufbahn nicht mehr ausreichte. Für den Brückendienst war ich nun nicht mehr tauglich. Zu diesem Ungemach kam auch noch die Währungsreform hinzu. So musste ich erst einmal arbeitsunfähig an Land bleiben. Froh war ich, dass ich schon seit einiger Zeit ein Unterkommen mit Kost und Logis bei einem Rentnerehepaar gefunden hatte. Denn dauernd nach Bremen zu fahren, war doch sehr umständlich. Aber es gab für mich in dieser schlimmen Zeit auch einen Sonnenschein. Die Wucht meiner späteren Frau nahm mich in Schlepp, wie es im Seemannsdeutsch so treffend heißt. Aber beruflich musste ich mir nun etwas einfallen lassen, denn mit dem Kapitänwerden war es ja vorbei. Vorerst arbeitsunfähig, nutzte ich die Zeit, mich auf einen neuen Beruf vorzubereiten.

Die Wahl fiel auf die Funkerei. Durch meine Radiobastelei hatte ich Verbindung zu Funkamateuren in Bremerhaven, die mir eine unbezahlte Praktikantenstelle in einem Radioreparaturbetrieb verschafften. Das Morsen hatte ich ja schon 1942 auf der Schiffsjungenschule in Ziegenort gelernt und s.Zt. die Signalprüfung bestanden. Einen regulären Schulbetrieb für die Ausbildung im Seefunkdienst gab es damals noch nicht. Diese Lücke füllte der Funkinspektor der DEBEG, Fritz Ehlers. In den Räumen der provisorischen Seefahrtschule im Hauptzollamt in Geestemünde gab er Privatunterricht. Die anderen Teilnehmer waren Funker der ehemaligen Kriegsmarine. Anfangs kam ich mir dazwischen ziemlich verloren vor. Es waren aber prächtige Leute, die mir viel praktisches Wissen vermittelten. Trotzdem war ich, nachdem ich die Prüfung zum Seefunksonderzeugnis in Bremen bestanden hatte, ein Anfänger.

Das wurde mir sehr bald auf meinem ersten Schiff als Funker, dem FD „IMSUM“ klar. Nach drei Reisen war ich noch immer der Anfänger, und würde es auf diesem Schiff aller Wahrscheinlichkeit auch immer bleiben. Um diesen Makel schnellstens loszuwerden, verfiel ich auf die Idee, mich als Urlaubsvertretung zur Verfügung zu stellen. Auf diese Weise konnte ich als Aushilfsfunker schneller Erfahrung sammeln und eine Chance abpassen, mir das geeignete Schiff auszusuchen. Schließlich wollte ich mit einem Kapitän fahren, der auf eine gedeihliche Zusammenarbeit Wert legt und mich nicht als notwendiges Übel betrachtete. Geld verdienen wollte ich allerdings auch. Die von mir ersehnte Chance sollte sehr schnell kommen. Kapitän Schumacher - mein ehemaliger 1.Steuermann auf der „LÜTZOW“ - holte mich auf die „MAX PUST“. Doch hatten wir die Rechnung ohne den alten Pust gemacht. Der hatte den "Kartoffel-Rädelsführer" von damals nicht vergessen und ich durfte nach der ersten Reise wieder an Land gehen. Eine weitere Reederei, die Nordstern AG, ließ für mich auch den Vorhang herunter. Mit Kapitän Köhlmann von der „SONNE hatte ich ernste Differenzen. Er sorgte für den "Vorhang". Ich wurde nicht gefragt! Überrascht war ich einige Zeit darauf, als ich aufgefordert wurde, mich bei der größten deutschen Fischdampferreederei, der Nordsee AG im Dampferbüro vorzustellen.

Zwei Tage später war ich mit der „TÜBINGEN für eine Aushilfsreise auf See. Danach wurde ich zur Reedereiabteilung Cuxhaven „weitergereicht“. Nachdem ich dort urlaubsreife Kollegen nacheinander auf insgesamt neun Schiffen für je eine Reise vertreten hatte, blieb ich auf der „KARLSRUHE für 27 Reisen.

- Jahre später -

Kapitän Schumacher hatte inzwischen die Reederei gewechselt und holte mich zu sich auf die „ALEMANNIA, der Nordatlantischen Hochseefischereigesellschaft. Zuvor hatte ich eine Reise auf einem Frachter, der „AUGUSTE SCHULTE nach Kanada gemacht.


 

Erinnerungen an den Funkbetrieb in der Hochseefischerei

Auszug aus dem Informationsheft Deutsches Schiffahrtsmuseum Bremerhaven 2/98

Der erste Fischdampfer, auf dem ich als Funker 1951 anmusterte, war die „IMSUM“ der Reederei E. Glässel in Bremerhaven. Die Funkanlage dieses Schiffes war schon beim damaligen Stand der Technik mit seinen Vorkriegsgeräten „altes Eisen". Ein Zweikreis-Geradeausempfänger, "Brotkiste" genannt, als Kernstück. Dazu einen durchstimmbaren 100-Watt-Sender für Grenz- und Mittelwellen mit einer erbärmlichen Frequenzkonstanz. Der Funkbetrieb über See, mit der Funktelegrafie als seinerzeit schnellster und sicherster Nachrichtenübermittlung mit den damals handbetriebenen Morsetasten bei etwa 120 Zeichen pro Minute, war auch die Basis für eine laufende Unterrichtung der Schiffe untereinander und der Reedereien und Fischmärkte.

Das Tätigkeitsfeld des Funkers war natürlich, neben dem allgemeinen Seefunkdienst, Telegramme von und nach Land, Wetterberichte, Nautische Nachrichten, Seenot u. a., auf die Belange der Fischerei ausgerichtet.

Eine umfassende Gemeinschaftsaktion aller auf See befindlichen Trawler waren die sogenannten FÄNGE (Fangmeldungen). Hinter diesem Kürzel verbirgt sich ein durch Telegrafiefunk getragenes Informationssystem der Fang- und Heimreiseangaben. Täglich zu vier festgesetzten Zeiten, mit dem Hauptprogramm um 18 Uhr (MEZ), wurde von den Kapitänen der in den vorangegangenen 24 Stunden aufgelaufene Tages- und Gesamtfang hergegeben, in den übrigen Zeiten, morgens, mittags, und nachts dagegen nur Zwischenergebnisse.

Um diese Meldungen "einzusammeln“ fiel auf jedem Fangplatz dem Funker des Schiffes, welches zuerst in diesem Seegebiet war, die "Leitung" zu. Wenn dann sein Schiff auf Heimreise ging, übernahm der zuletzt Angekommene diese Aufgabe. Auf diese Weise kam im laufe der Zeit jeder einmal dran, diese aufwendige Arbeit zu übernehmen. Der Leitschiffsfunker forderte zu den Programmzeiten auf 1621 bzw. 1609 kHz die Schiffe nacheinander per Telegrafie mit ihren Rufzeichen auf, Meldung zu machen. Sobald alles eingesammelt war, nahm er zu den Leitschiffen entfernterer Fangplätze Verbindung auf, um die Ergebnisse auszutauschen.

Das ging je nachdem, wo sich fischende Fahrzeuge befanden über weite Strecken vom Englischen Kanal bis nach Spitzbergen und Island, von der Barentsee bis nach Grönland und später auch Labrador und Neufundland.

Da bei diesen Entfernungen auf den vorgenannten Frequenzen oft keine direkte Verbindung zustande kam, schalteten sich Kollegen von "Unterwegs" oder von dazwischen liegenden Fangplätzen zur Vermittlung ein. Auf diese Weise baute sich jedes mal ein zur Deutschen Küste tendierender Funkverkehrskreis auf, den wir DIE LINIE nannten. Auf den übrigen, weder an Leitung noch Vermittlung beteiligten Schiffen, hörten und schrieben die Funker natürlich gleich alles mit. Oft schaute mir der Kapitän dabei über die Schulter. Das war für ihn wohl spannender, als anschließend die "Gesammelten Werke".

Wenn die gesamten Ergebnisse von über 150 Fischdampfern der Tages- und Gesamtfänge mit Angaben der Fangplätze, sowie Heimreiseangaben mit beabsichtigten Markttag und eine genaue Aufschlüsselung über Art und Menge der anzulandenden Fische bei einem Funker an der deutschen Nordseeküste vorlagen, wurden diese von ihm über Norddeichradio an den Wachdienst der Fischereihafen-Betriebsgesellschaft in Bremerhaven übermittelt. Am nächsten Tag hatte jede Reederei und die Fischmärkte das ganze vorliegen. Der Funkverkehrskreis DIE LINIE diente begleitend zu den Fangmeldungen auch der Vermittlung von Telegrammen von und nach Norddeich- bzw. Elbe-Weser-Radio, natürlich auch anderer Mitteilungen von und nach Land oder von Schiff zu Schiff. Im laufe der Zeit, mit Ausstattung der Funkstationen der neueren Schiffe mit Kurzwellensendern konnte auf diese Art der Vermittlung weitgehend verzichtet werden. Für viele Kapitäne lag der Wert seines Funkers auch in der engen fachlichen wie menschlichen Zusammenarbeit in den bis zu drei Wochen auf See.

Was des Kapitäns NASE, ist oft des Funkers OHR. Welche Fischgründe angesteuert werden sollten, ist natürlich, im Einvernehmen mit der Reederei, Sache des Kapitäns. Es konnten jedoch Umstände eintreten, die eine Umdisponierung erforderlich machten. Das konnte sein, dass die Fangergebnisse auf dem beabsichtigten Fangplatz nicht mehr ergiebig genug waren, oder auch die Übersättigung des Marktes mit einer bestimmten Fischsorte. Das war dann oftmals auch die Stunde des Funkers. Denn dann wollte der Alte erst recht wissen, was ich so außerhalb der offiziellen Tagesmeldungen herausgehört hatte.

Kein Kapitän, der ganz für sich allein oder mit einigen anderen Schiffen DICKE SÄCKE einfängt, kann das lange geheim halten. Stolz auf seinen Erfolg, möchte er es vielleicht einen befreundeten Kapitän und schließlich zwangsläufig die Reederei wissen lassen, ohne dass sonst jemand davon Wind bekommt. Es ist schon erstaunlich, zu welchen Verschleierungstricks da gegriffen wurde. Doch jeder Code ist zu knacken.

Mit etwas Einfühlungsvermögen und Erfahrung aus den offenbar belanglosen Mitteilung die richtigen Schlüsse zu ziehen, grenzte schon fast an Geheimdienstmethoden. Um auch noch einen weiteren Anhaltspunkt zu haben hatte ich es mir zur Gewohnheit gemacht, nach Möglichkeit von so einem Mitteiler eine Funkpeilung zu machen. Denn die Richtung, in der er sich befand, ließ zusätzliche Schlüsse zu. Kreuzte die so ermittelte Standlinie auch noch eine Tiefenlinie (Schelfkante) war auch seine Position deutlich. Eine weitere Möglichkeit, den Standort eines GEGNERS ausfindig zu machen, war das Mitlesen von Wettertelegrammen (sog. OBS) die über Norddeich- oder Elbe-Weser-Radio an das Wetteramt Hamburg abgesetzt wurden. Zu all dem gehörte nur etwas Glück und die Kenntnis der Frequenzen und Sendezeiten. Diese Mithörerei mit nur einem bzw. zwei Empfängern war mühselig.

Deshalb wurden mit der Zeit die Empfangsanlagen immer umfangreicher. Bis zu fünf Empfänger waren bald die Regel. Damit konnten dann einige wichtige Frequenzen laufend überwacht werden. Ganz ohne Kurbelei, d.h. Absuchen der Skalen, ging es trotzdem nicht. Im eigentlichen Sinne war der Funkpeiler für die Navigation gedacht, und sollte als Hilfsmittel der eigenen Ortsbestimmung dienen, wenn tagelang weder Sonne noch Sterne zu sehen waren. Während der Fischereiperiode, in der die Nautiker mit der Fischverarbeitung alle Hände voll zu tun hatten, überließ der Kapitän oftmals mir die Funknavigation.

Ganz besonders wurde auf meine Mithilfe Wert gelegt, als wir, die „KARLSRUHE“ der Nordsee-Reederei, im Juli 1956 als einer der ersten deutschen Fischdampfer über den Atlantik um Kap Farewell nach Westgrönland fuhren. Zum Funkpeilen musste ich auf die im Nordatlantik stationierten Wetterschiffe und die Sendungen von Küstenfunkstellen zurückgreifen. Das hat gut geklappt. Zudem kamen Aufgaben auf mich zu, die auf den bislang befahrenen Seegebieten nicht notwendig waren, z. B. die Eiswarnsendungen von Halifax-Radio (Kanada). Dann die spezielle Wetterkarten-Analyse-Sendung von Portishead-Radio. Das waren

Zifferngruppen, die verschlüsselt Markierungspunkte der Isobaren und Fronten enthielten. Anhand dieser Angaben konnte ich auf eigens dafür vorgedruckten Meteo-Karten diese Punkte vermerken und die entsprechenden Linien einzeichnen. Nach diesen Wetterkarten konnte der Kapitän dann den günstigsten Kurs über den Atlantik bestimmen, ohne Wind und Wetter von vorn zu bekommen. Grundlage einer Wetterkarte ist die jeweilige Wetterlage. Diese wird in zwischenstaatlicher Zusammenarbeit anhand der Wettermeldungen von Landstationen und Schiffen auf See erstellt. Je mehr solcher Wettermeldungen vorliegen, desto genauer kann die Entwicklung des Wettergeschehens beurteilt werden.

Weltweit werden bzw. wurden deshalb alle drei Stunden zu festgesetzten Zeiten, den sogenannten synoptischen Terminen, um 03.00, 06.00, 09.00 UTC (ex.GMT) usf. Messungen und Beobachtungen durchgeführt und an die dafür zuständigen Meteorologischen Institute, in Deutschland das Wetteramt Hamburg, geschickt. Auf deutschen Fischdampfern war es in der Regel Aufgabe des Funkers, diese Beobachtungen zu machen. Jeweils zu den vorgenannten Zeiten musste ich meine warme Funkbude verlassen und draußen an Luvseite folgende Werte ermitteln: Windgeschwindigkeit und -stärke, Seehöhe (Wellenhöhe), eventuell eine anders verlaufende Dünung. Luft- und Wassertemperatur (mittels Gummiaufschlagpütz), Bewölkungsart, Art und Menge der Niederschläge, Luftdruck mit seiner Tendenz steigend oder fallend. Die ermittelten Werte wurden in eine Meteo-Kladde eingetragen, anschließend diese Werte in Zifferngruppen verschlüsselt und als Wettertelegramm, sogenanntes OBS, an Norddeich-Radio abgesetzt. Als besonderer Kundendienst des Seewetteramtes wurde den Reedereien mitgeteilt, wo sich ihr Dampfer befand. Denn ein OBS muss ja auch die Positionsangabe des meldenden Schiffes enthalten.

Zu dieser, unserer ersten Fangreise nach Westgrönland durch eisverseuchtes Gebiet bekamen wir zusätzlich ein RADAR-Gerät eingebaut. Da zu jener Zeit in Deutschland solcherart Geräte noch nicht gebaut werden durften, handelte es sich um ein englisches Fabrikat mit dem schönen Namen PATHFINDER. Nach drei Tagen auf See gab der Apparat seinen Geist auf. Es gelang mir aber, bevor wir Kap Farewell erreichten, den Kasten wieder zum Laufen zum bringen. Drei Jahre später war ich auf der wesentlich moderneren „REGENSBURG“ an Bord. Labrador und Westgrönland inzwischen schon Routine. Die Funkanlage war mit vier Superempfängern, drei Sendern für Mittel-, Kurz- und Grenzwellen ausgerüstet, dazu auf der Brücke ein UKW-Sprechfunkgerät.

Die nautische Ausrüstung ließ auch keine Wünsche offen. Dazu gehörten noch zwei Echolote mit optischer und graphische Tiefenanzeige. Damit gekoppelt war eine sogenannte Fischlupe. Für den Nordatlantik mit der Navigationsanlage LORAN. Für die Nordsee ein DECCA-Navigator.

Der Schiffsantrieb ganz modern, dieselelektrisch. Der Verstellpropeller von der Brücke aus steuerbar. Einmal ging uns ein Flunken des Propellers durch Eisgang verloren.

Interessant war für uns mit der „REGENSBURG“ dann im Juni 1960 eine sechswöchige Forschungsreise nach Neufundland und Labrador mit Dr. Messtorf vom Fischerei-Institut als Expeditionsleiter. Als alleiniger westdeutscher Trawler trafen wir auf eine schon dort fischende Rostocker Fangflotte. Die Kontaktierung mit dem Kollektivleiter - den Funkern sowieso - war erfrischend und aufschlussreich. Einen Ost-West- Konflikt gab es für uns nicht. Die Beobachtung des Funkverkehrs der dort auch fischenden sowjetischen Fangflotte brachte gute Ergebnisse. Ich konnte den Inhalt ihres Funkverkehr zwar nicht entschlüsseln, aber die Art und Weise der Funkverkehrsabwicklung war aufschlussreich genug. Da half wieder die altbewährte Funkpeilmethode. Ich konzentrierte mich auf den, der am meisten sendete und peilte ihn ein. Wenn dann die Peilung „stand", d.h. die Richtung sich nicht veränderte, konnte es nur der sein, der die andern zu sich rief, weil er die meisten Fische fing. Und genau so war es auch.


 

„Black Frost“ - Teuflisches Eis an Bord

Fischdampfer „ALEMANNIA entging knapp einer Katastrophe

Abgedruckt im Mitteilungsheft Deutsches Schifffahrtsmuseum Bremerhaven 1/1992

Vor Jahrzehnten, als es noch eine ansehnliche und moderne deutsche Hochsee-Fischereiflotte gab, waren deutsche Fischereifahrzeuge vom Englischen Kanal bis Spitzbergen, von Neufundland bis zur Barentssee zu finden. Hemmnisse durch erweiterte Hoheitszonen oder Fangquoten kannte man noch nicht. Es zählten nur die Menge der gefangenen Fische und der damit verbundene Auktionserlös an einem der Fischmärkte.

Ich fuhr damals als Funker auf der „ALEMANNIA“, einem ölbefeuerten Fischdampfer von 649 BRT und fast 5000 Ztr. Laderaumkapazität. An der Spitze der 36 Mann Besatzung stand Kapitän Karl Schumacher. Am 29. März 1957 befanden wir uns seit zwei Tagen ganz allein östlich von Angmagssalik (Ostgrönland) und fischten hart an einer nördlich von uns gelegenen Packeisgrenze. Es wehte ein eisiger Nordsturm, der uns mit Stärke 9 direkt vom Packeis her mit arktischem Seerauch, Nebelfetzen und Nieselregen um die Ohren blies. Der Seegang war dabei, bedingt durch die unmittelbare Nähe des Eises, so niedrig, dass wir trotz des Sturmes noch fischen konnten. Ansonsten ist das bei dieser Windstärke mit entsprechendem Seegang meist nicht mehr möglich.

Die Fischdampfer waren damals noch durchweg Seitenfänger, die beim Netzeinholen quer zur See lagen. Die dadurch oftmals überkommenden Brecher haben vielen Seeleuten zu unfreiwilligen Bädern verholfen, wobei leider auch mancher gute Mann für immer über Bord gewaschen wurde. Auch für unsere Matrosen auf der „ALEMANNIA“ war die Arbeit an Deck an diesem Tag alles andere als ein Vergnügen. Peitschte ihnen doch dieses nass-eisige Gemisch mit Sturmstärke in ihre Gesichter. Alle waren aber schon lange an Bord, Kummer gewöhnt und hart im Nehmen. Mir erging es da schon besser, saß ich doch hoch und trocken vor meinen Geräten im Funkraum und hörte mir das Gezeter aus den Lautsprechern von drei Empfängern an, welches den Funkverkehr ausmacht. Es war nicht unbedingt gemütlich, die Tür zur Brücke stand - wie gewöhnlich - offen, aber das war ich gewohnt. Dann stieg plötzlich ein Unbehagen in mir auf, als die Lautstärke des Funkverkehrs immer geringer wurde, und schließlich gar nichts mehr zu hören war. Die Überprüfung der Empfänger und Sender ergaben keine Störung, so dass es nur noch an den Antennen liegen konnte. Also begab ich mich die paar Schritte nach vorn zur Brücke, um nachzusehen, was da los war.

Dabei wurde mir zum ersten Mal bewusst, wie schwammig das Schlingern des Schiffes geworden war. Kapitän Schumacher hatte übrigens inzwischen das Hieven (Einholen) des Fanggeschirrs veranlasst und war, wie immer in dieser Situation, allein auf der Brücke. Er machte mich auch gleich auf das aufmerksam, was ich im selben Augenblick selber sah.

Die ganze Takelage des Vormastes bis hoch zum Flaggenknopf, alle Aufbauten, praktisch das ganz Schiff war von einer durchsichtigen glasurähnlichen Eisschicht bedeckt bzw. umgeben. Meine von Mast zu Mast, über Rahen laufende Antennen aus sehr dicken Kupferlitzen, die jedem Orkan standhalten, hingen als armdicke Eiswürste gebrochen herab. Dem Gewicht des anhaftenden Eises waren sie nicht mehr gewachsen gewesen.

So eine Art der Vereisung hatten wir beide noch nicht erlebt. Trotzdem wussten wir, um was es sich handelte. Die englischen Fischerleute nennen es "Black Frost". Die andere Art von Vereisung, die durch überkommendes Seewasser, Gischt und Brecher zustande kommt, wird "White Frost" genannt und lässt sich abschlagen. Hier in unserem Fall gefror ganz einfach das durch die Gegend stürmende Gemisch aus Seerauch, Nebel und Nieselregen an allem, was Schiff war. Kapitän Schumacher, der die Gefahr, die auf uns zukam, rechtzeitig erkannt hatte, ließ das Fanggeschirr schon vor Ende der eigentlichen Schleppzeit einholen, um voll manövrierfähig zu werden. Denn das war uns ohne viele Worte klar: Wenn die Vereisung unseres Schiffes so weiterging, musste die durch die viele Tonnen schwere Eislast hervorgerufene Topplastigkeit auf Dauer unweigerlich zum Kentern der „ALEMANNIA“ führen.

Ein Überleben würde es für uns dann nicht geben. Es war uns auch noch zu gut das Schicksal der beiden englischen Fischdampfer „LORELLA“ und „RODERIGO“ in Erinnerung, die am 28. Januar 1955 durch Vereisung im Froststurm nördlich von Island mit ihren gesamten Besatzungen untergegangen waren. Noch hielt sich das starke Überholen des Schiffes, bedingt durch das Hieven der kilometerlangen Kurrleinen in erträglichen Grenzen. Nachdem die Scherbretter vorgehievt und abgefangen waren, wurde das Schiff mit dem Heck in den Wind gedreht, damit der Dampfer beim Netzeinholen keine Dummheiten machte.

Als erste Maßnahme gegen die drohende Kentergefahr sollte das Schiff nun in eines der vielen Treibeisfelder gebracht werden, denn in so einem Eisfeld darf man eine ruhigere See erwarten. Normalerweise wird den Eisfeldern natürlich aus dem Weg gegangen, da sie die Gefahr einer Leckage oder Beschädigung der Schiffsschraube mit sich bringen. Aber die Aussicht zu kentern, war für uns jetzt wesentlich unangenehmer. So klemmte ich mich hinter das Radargerät um die Umgebung zu erkunden. Mit List und Tücke - die Vereisung des Scanners wirkte sich auch auf die Anzeige auf dem Bildschirm aus - konnte ich mehr ahnen als sehen, in etwa sieben Seemeilen die Konturen eines Eisfeldes ausmachen. Nachdem das Fanggeschirr an Deck war, wurde der Kurs in diese Richtung abgesetzt.

Inzwischen waren auch der Erste Steuermann und ein Rudergänger auf die Brücke gekommen und berichteten über die Unmöglichkeit, das Eis abzuschlagen. Es war eisenhart und stellenweise bis zu 10 cm dick. Die einzige Rettung konnte für uns nur darin bestehen, so schnell wie möglich in wärmere Gefilde zu kommen.

Die Decksleute wurden unter Deck geschickt und verschwanden in ihren warmen Unterkünften. Wir dampften nun schräg vor dem Wind laufend nach Südosten auf das Eisfeld zu. Im stillen hofften wir, dass die Vereisung endlich nachlassen oder ganz aufhören würde. Denn die Topplastigkeit wirkte sich manchmal bereits so schlimm aus, dass der Dampfer mit einer Krängung von fast 30 Grad "hängen blieb". Nur mit Ruder- und Maschinenmanövern gelang es dem Kapitän immer wieder, das widerwillig reagierende Schiff auf ebenen Kiel zu bekommen. Diese kurze Fahrt bis zum Eisfeld setzte uns am meisten zu. Denn immer und immer wieder drohte unser Dampfer zu kentern. Trotzdem verlief auf der Brücke alles ohne Dramatik. Es wurde kein überflüssiges Wort gesprochen. Der sonst üblich lockere Umgangston war allerdings einem stillen Ernst gewichen.

Die Spannung löste sich etwas, als wir das scharrende Specktakel der an unseren Bordwänden entlangschlurrenden Eisschollen vernahmen. Es klang wie Musik in unseren Ohren. Denn wie erwartet, ließ die Kenterneigung des Schiffes in dem ruhigerem Wasser nach. Wir hatten wohl noch etwas Schlagseite nach Lee, aber wahrscheinlich nur noch durch den Druck des andauernden Nordsturmes. Zudem hatte sich die Vereisung, ohne dass wir es zunächst wahrnahmen, nicht fortgesetzt. Nach einigen Stunden, das Eisfeld hatten wir in östlicher Richtung durchfahren, trafen wir auf eine Reihe fischender Fahrzeuge. Von Vereisung weit und breit keine Spur. So schnell wie sich unser Eispanzer aufgebaut hatte, so schnell taute er auch wieder ab, und der Spuk war vorbei. Außer meinen abgerissenen Antennen, die ich nun wieder flicken und aufbringen konnte, waren keine weiteren Schäden aufgetreten. Die Fischerei ging, als sei nichts gewesen, auf dem neuen Fangplatz weiter. Dort waren die Fänge zwar nicht so ergiebig wie da, woher wir kamen, aber es war weniger gefährlich. Dem seemännischem Geschick von Kapitän Schumacher, und ein bisschen Glück ist es wohl zuzuschreiben, dass wir unbeschadet und lebend aus diesem Dilemma herausgekommen sind. Denn es ist sicher, dass uns niemand hätte helfen können, wenn wir still für uns gekentert und gesunken wären.

Im Schiffsregister hätte dann nur der amtliche Vermerk gestanden:

Verschollen!

Der Nachruf etwa so:

...und sie fuhren hinaus auf ihrem stolzen Schiff und sahen die Heimat niemals wieder

und keiner weiss, wo sie geblieben...

Noch mal Jahre später war wieder die Nordsee AG Bremerhaven mein Arbeitgeber. Auf der „REGENSBURG fand ich mich wieder. Langsam wurde mir bewusst, dass die beste Zeit der Hochseefischerei vorbei war. Außerdem war das, was wir mit einem hohen technischen Aufwand betrieben, keine Fischerei mehr, sondern ein Vernichtungskrieg gegen die Fischbestände. Das wollte ich nicht mehr mitmachen. Also Seefahrtschule Bremen. Mit dann dem Seefunkzeugnis 2. Klasse in der Tasche wechselte ich dann in die Frachtschifffahrt.


Kollision vor Bremerhaven

Abgedruckt im Mitteilungsheft des Deutschen Schiffahrtsmuseum Bremerhaven 2/94

Nachdem am Abend des 23. August 1962 im Europahafen von Bremen die etwa 20 m langen, für eine Pipeline in Nordafrika bestimmten Stahlröhren auf der „OBERHAUSEN“ als Deckladung festgezurrt worden waren, hieß es "Leinen los". Im Unterraum des Schiffes hatten wir in Säcken abgefülltes Nitrophosphat - ein Düngemittel - und im Zwischendeck Autos vom Typ VW-Käfer geladen. Nun schwamm die „OBERHAUSEN“, deren Funkoffizier ich damals war, die 70 Kilometer weserabwärts Richtung Nordsee mit Zielhafen Casablanca. An Deck wurde Seeklar gemacht und die Antennenanlage aufgebracht. Noch ein Blick auf das uns vertraute, in der aufkommenden Dämmerung versinkende Weser-Panorama, und die Bordroutine begann. Wir waren noch auf der Weser, als ich nach Beendigung meiner Wache um 23.00 Uhr wie üblich die Seenotalarmanlage einschaltete und mich anschließend in meine Kammer zurückzog, um mich auszuschlafen. Am nächsten Morgen zum Frühstück würden wir schon auf See sein.

Doch es kam ganz anders. Plötzlich wurde ich durch einen knirschenden und krachenden Lärm aufgeweckt. Danach vernahm ich, außer dem Rumpeln unserer mit äußerster Kraft laufenden Schiffsmaschine, nichts weiter. Trotzdem stand ich auf und öffnete meine Kammertür. Gegenüber auf dem Gang schaute der 1. Offizier, G. Pawlow, wie ich durch den Krach aufgeweckt, ebenfalls aus seiner Tür. Besonders geistreiche Gesichter machten wir wohl beide nicht. Bevor wir aber Vermutungen darüber anstellen konnten, was eigentlich los war, erschien ein Matrose von der Wache mit der Alarmnachricht, dass wir gerammt worden waren. Also schnellstens anziehen und die zwei Decks ´rauf in die Funkstation.

Was war geschehen? Noch auf der Weser seewärts von Bremerhaven, waren plötzlich böige Regenschauer mit starker Sichtbehinderung über die „OBERHAUSEN“ hereingebrochen. Bei einer solchen Wetterlage mit einer schweren Decksladung aus der Wesermündung in die offene See zu laufen, hatten Kapitän und Lotse für nicht ganz ungefährlich gehalten und deshalb mit Absicht beigedreht, um auf Reede vor Bremerhaven erst einmal vor Anker zu gehen und eine Wetterbesserung abzuwarten. Als wir nun stromauf wieder die Nordschleuse von Bremerhaven passierten, verließ diese gerade der wesentlich größere Motorfrachter „NECKARSTEIN“ mit Kurs Bremen.

Die in Ballast fahrende „NECKARSTEIN“ mit ihrem hoch aus dem Wasser ragenden Bug rammte die tief abgeladene „OBERHAUSEN“ kurz hinter dem sich mittschiffs befindlichen Brückenaufbau. Das Bündel der längsschiffs an Deck liegenden und gelaschten Stahlröhren wirkten wie eine Barrikade und verhinderten somit, dass uns die „NECKARSTEIN“ in zwei Hälften zerschnitt. Es hätte dann nur Sekunden gedauert, um uns von der Wasseroberfläche verschwinden zu lassen. So blieb es bei einem großen Loch in der Bordwand, durch das nun fröhlich das Wasser in den achteren Laderaum strömte. Unser Kapitän reagierte schnell.

Mit Hartruder und Maschinen äußerste Kraft jagte er unser Schiff auf die Bremerhaven gegenüberliegenden Sandbänke vor Blexen. Damit lagen wir „auf Dreck“ wie es in der Seemannssprache heißt und die Gefahr des Sinkens war gebannt. Eine unmittelbare Gefahr für Schiff und Besatzung bestand nun nicht mehr.

Meine Aufgabe war wenig aufregend: Ich hatte nur die Funkanlage in Betrieb zu setzen und mit Norddeichradio Verbindung aufzunehmen. Schließlich musste die Reederei benachrichtigt werden. Doch der Sender ließ sich nicht abstimmen. Offensichtlich sind die Antennen in Mitleidenschaft gezogen worden. Ich zog mir den Regenmantel an, um draußen nachzusehen. Ein loses Drahtgewühl rund um die Brücke bestätigte meine Vermutung. Die „NECKARSTEIN“ hatte mit ihrem hoch und weit ausladendem Vorsteven meine von Mast zu Mast gespannten Antennen heruntergerissen. Nun turnten zwei Matrosen wie Akrobaten in der regendunklen Nacht auf den glitschigen Stahlröhren an Deck herum, um die Enden meiner Antenne zu suchen. Das fachgerechte Flicken der Antennen mit ihren diversen Niederführungen machte ich dann aber selber. Danach konnte ich endlich die Funkverbindung über Norddeich-Radio mit der Reederei in Hamburg herstellen.

Doch inzwischen war man bei der Reederei bereits von einem Bergungsunternehmen aus den Federn gejagt und informiert worden. Die bissigen Bemerkungen bezüglich unserer sehr späten Verbindungsaufnahme waren zwar nicht gerechtfertigt, aber was weiß schon ein Reederei-Chef von funktechnischen Problemen, die bei einer Havarie auftreten können. Wir jedenfalls lagen hoch und trocken, und mit dem Einsetzen der Ebbe war um uns herum kaum noch Wasser, der achtere Laderaum lief nun von alleine leer. Die Bergungsfirma dichtete das nun frei zugänglich Loch in der Bordwand mit Holzplanken ab. Nach dem Auflaufen der Flut, schwamm unser Schiff von allein wieder auf und konnte in die Lloydwerft verbracht werden.

Aufregung gab es nur bei mir zu Hause in Bremerhaven, da meine Frau und Tochter in den Morgennachrichten von Radio Bremen hörten, dass die „OBERHAUSEN“ kollidiert sei und „auf Grund“ gesetzt wurde. Sie glaubten wir seien untergegangen. Ein Anruf bei der Reederei beruhigte sie aber.

Nach 16 Tagen Werftzeit, für mich als einzigen Bremerhavener ein Sonderurlaub, gingen wir mit neuer Ladung, die alte war ja unbrauchbar, erneut auf die Reise nach Casablanca.


Doch auch in der Frachtschifffahrt war das Schrumpfen irgendwann abzusehen. Bevor ich nicht mehr gebraucht werden würde, bin ich dann, als mir nach zwanzig Jahren Seefahrt eine annehmbare Stellung angeboten wurde, an Land geblieben.

Für mich und meine Familie galt nun auch der übliche Kalender mit Wochenenden und Feiertagen und nicht mehr nur das Ein- und Auslaufdatum meines jeweiligen Schiffes.

Das war’s dann...


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