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Aus Band 1 der gelben maritimen Zeitzeugen-Buchreihe "Seemannsschicksale"
Willi Krüger (+ verstorben) wurde 1937 in Waren in Mecklenburg geboren. Er hatte sieben Geschwister, drei Brüder und vier Schwestern. „Ich war das jüngste Kind meiner Eltern und Wunschkind.“ Die Eltern stammten aus Wolhynien in der Ukraine. 1939 zog die Familie nach Hamburg um und zwar nach St. Pauli in Hafenrandnähe. Zunächst wohnte man in der Bernhard Nocht-Straße 2 dicht am Pinnasberg. „Ich bin ein richtiger Fischmarkt-Junge und Hamburger Kriegskind. Die ersten Luftangriffe erlebte ich im Alter von fünf Jahren. Zunächst kamen die Aufklärer, die aus großer Höhe die Lage peilten und von der Flak wegen der Entfernung kaum behelligt werden konnten. Damals hatten die Engländer es besonders auf die kriegswichtigen Hamburger Werften Blohm & Voß und Howald auf der gegenüberliegenden Elbseite abgesehen. Es rumste kräftig und bei uns blieben keine Fensterscheiben heil. Meistens hatten wir nur Pappe oder Decken vor den Fenstern. Weil es den Eltern in unmittelbarer Elbnähe zu gefährlich erschien, zogen wir 200 Meter weiter in eine andere Wohnung in der Langestraße um. Kurz darauf wurde unser bisheriges Wohnhaus von Bomben getroffen. Es gab fast täglich tags und nachts Fliegeralarm. Alle Angriffe auf Hamburg habe ich miterlebt. Einige meiner Geschwister kamen mit der im Krieg üblichen Kinderlandverschickung nach Sachsen oder Wien. Als mein Bruder Hermann zwei Jahre später zurückkam, sprach er wienerisch und kannte seine Mutter kaum wieder. Ich blieb den ganzen Krieg über in Hamburg. Mein Vater arbeitete als Treckerfahrer und mußte vor allem Kies für die Bunkerbauten befördern. Er galt als nicht kriegsverwendungsfähig. In einem Keller züchtete mein Vater Kaninchen. Wir hatten bis zu 100 Exemplare davon. Kaninchen und Tauben unterlagen nicht der Melde- und Abgabepflicht. Einmal „organisierte“ unser Vater einen ganzen Hänger mit trockenem Brot, den er während eines Luftangriffes einfach hinter seinen Trecker spannte. Was wir von dem Brot nicht selber noch essen konnten, bekamen die Kaninchen. Wo jetzt die St.Pauli-Brauerei steht, war in der Taubenstraße unsere Schule. Die Lernbedingungen waren miserabel. Wegen der vielen Fliegeralarme fiel der Unterricht oft aus. Meistens mussten wir auf dem Fußboden sitzen. An der Wand standen die Konservendosen, mit denen wir die Schulspeisung fassten. Als Großstadtjunge lernte ich früh, mich im harten Kriegsleben zu behaupten. Einmal klaute ich mit meinem Bruder zusammen während eines Luftalarms vom Auto eines Fischhändler zwei Kisten mit Räucherfisch. Wegen „Plünderei“ hätten wir mit drakonischen Strafen rechnen müssen. Denunziantenaugen wachten überall. Meine Eltern trennten sich nach dem Krieg.
Nach der Schulentlassung wollte ich zur See fahren. Es war aber gar nicht so einfach, ein Schiff zu finden. Die Heuerstelle mit dem legendären Vermittler Max residierte damals in einem Keller des Slomanhauses am Baumwall. Dort standen täglich Trauben von bis zu hundert Bewerbern in der Schlage, um sich um einen Job zu bemühen. Ich war damals klein und schmächtig, wog gerade mal 90 Pfund. Auch ich reihte mich im Frühjahr 1952 immer wieder ein und bemühte mich längere Zeit vergeblich, bis Max nach etwa drei Monaten endlich eines Tages meinte, er wolle mein geduldiges Warten honorieren. Er bot mir einen Job als Heizer-Moses auf der „Olga“ , einem alten Kohlesteamer der Reederei Willi Schlicker an. Das 10.000-Tonnen-Schiff hatte schon den Krieg überstanden und war von den Engländern gekauft worden.
Von den 42 Mann der Besatzung dienten sechs Heizer, drei Trimmer und ein Donkymann. Letzterer hatte die Funktion eines Oberheizers und Kesselwärters.
Wir gingen 4/8-Wache, das heißt vier Stunden Arbeit, acht Stunden Freiwache. Die Trimmer hatten die schwerste Arbeit. Sie holten die Kohle mit Schubkarren aus den 30 bis 40 Meter entfernten Bunkern vor die Kessel. Die drei Kessel mussten rund um die Uhr in richtiger Temperatur gehalten werden. Ehrgeizig und eifersüchtig wachte man, dass die Feuer nicht zu stark und nicht zu schwach wurden. Zwischendurch mußte nach ein bis zwei Stunden, wenn die Kohle ausgebrannt war, zunächst mit der schweren Schleuse die Schlacke aufgebrochen und dann mit der vier bis fünf Meter langen Krücke die heiße Schlacke von hinten nach vorne gezogen und herausgehakelt werden, ohne dass die Qualität des Feuers litt. Der Dampfdruck mußte möglichst konstant gehalten werden. Man arbeitete meistens mit freiem Oberkörper, nur mit einem Schweißtuch um den Hals. Diese Heizerbesatzung hatte eine eigene Heizermesse, in der ich diese Herren zu bedienen und ihre Kabinen zu reinigen hatte. Durch die harte Arbeit waren diese Kerls stramme Muskelpakete. Wenn es mal zu einem Streit kam, flogen die Fetzen. Die Faustkämpfe hatten es in sich. Für die Maschine zeichnete der Chief die Verantwortung. Er hatte zwei bis drei Ingenieure und drei Assis zur Seite. Mittschiffs war die Brücke, darunter die Kammern der Offiziere, des Bootsmanns, des Zimmermanns, der Stewards und der Köche. Auch die Kombüse war mittschiffs. Darunter befanden sich Maschine und Bunkerräume. Die Heizer und Matrosen wohnten achtern, hatten aber nichts miteinander gemein. Die Leute von Deck und Maschine waren zwei rivalisierende Kasten, die sich gegenseitig verachteten. Jede Seite meinte, sie sei die bessere und schönere Sorte Mensch. Das Essen holte ich von mittschiffs. Wir hatten kein Warmwasser an Bord. Auch der Duschraum hatte nur eine einfache Kaltwasserleitung. Bei Bedarf wurde das Wasser mit Dampf erhitzt. Auch mein Spülwasser holte ich mit Eimern aus dem Duschraum, denn auch mein Abwaschbecken hatte keinen Wasserzufluss. Wöchentlich einmal erhielt ich als Spülmittel eine Dose P3, ein starkes Industriewaschpulver, sowie grüne Seife zum Saubermachen. Die Heizer klauten sich von meinen Vorräten öfter was, so dass ich den Verlust dann wieder durch Beutegänge bei den Matrosen und dem Decksjungen ausgleichen mußte. Jeder hatte ein abschließbares Spindfach in einem großen Metallschrank mit 20 Spinden. Die Verpflegung an Bord war gut. Es gab Spiegeleier und ausreichend Fleisch. Der Bäcker backte immer frisches Brot. Aber wegen einer irgendwann einmal erteilten unsinnigen Anordnung wurde uns die Kaltverpflegung nur einmal wöchentlich zugeteilt. Da das Schiff total kakerlakenverseucht war, wurden die 100 g-Rationen natürlich gleich am ersten oder zweiten Tag verzehrt, bevor die Kakerlaken sich darüber hermachen konnten. Wir fuhren acht Monate lang zwischen Rotterdam und Norfolk oder Newport in Virginia über den Nordatlantik und holten billige Abfallkohle. Während der Atlantiküberquerung kamen wir an Eisbergen vorbei und fuhren öfter durch Herden von Tausenden Walen hindurch. Bei stürmischem Wetter landeten oft fliegende Fische an Deck. Die flattern über 100 Meter weit über das Wasser und waren bei der Besatzung heiß begehrt. Sie schmeckten wie Makrelen und waren an die 40 bis 50 cm lang. Später habe ich nie mehr so viele davon und so große Exemplare gesehen. Die Deckswache und Ausguck gehenden Matrosen fanden die fliegenden Fische natürlich in der Regel als erste. Aber auch bei uns Heizern landete mancher und wurde auf einer mit glühender Kohle erhitzten Schaufel gebraten.
Danach beförderten wir mit der „Olga“ über vier Monate Industriekoks von Nordenham zum schwedischen Ökselesund und aus dem zwei Tagesreisen entfernten Hafen Lulea in Nordschweden das hochwertige Kiruna-Erz nach Rotterdam. Ich verdiente als Maschinenjunge monatlich 100 DM. Davon überwies ich 50 Mark an meine Mutter, die von der Wohlfahrt lebte. Als Trimmer hätte ich die doppelte Heuer bekommen. Als ich mich um eine Ummusterung bemühte, lehnte man wegen meines zu geringen Alters ab. Ich war praktisch noch ein Kind. Da müsse ich noch mindestens zwei Jahre zuwarten. Zwerge könne man nicht als Trimmer einsetzen. Wenn ich 17 gewesen wäre, hätte man schon mal ein Auge zugedrückt. So verlegte ich mich aufs Schmuggeln. Wir hatten einen Bäcker-Kochsmaat an Bord, der schon als Soldat den Krieg mitgemacht hatte. Der sagte eines Tages zu mir: „Willi, du kannst von deiner Heuer kein reicher Mann werden. Wir werden jetzt Alkoholschmugler.“ So deckten wir uns in Nordenham beim Schiffshändler mit Rum und billigem Kognak ein. Nachts im Regen schlichen wir damit an Bord. Im Einkauf zahlten wir vier bis fünf Mark für die Flasche. In Schweden kriegten wir 30 Mark für die Pulle. So nahmen wir anfangs drei, später sechs Kisten pro Reise mit und verscherbelten das Zeug gewinnbringend an die durstigen Schweden. Ich konnte mir so schon als Sechzehnjähriger meinen ersten Anzug kaufen, dazu Krawatte, Schal und einen Mantel. Neid und Eifersucht unter den Kollegen waren riesengroß. Die Sache flog auf, als ich eines Tages von einem Matrosen bezichtigt wurde, ich habe ihm 50 Mark gestohlen. Die Unterstellung hatte mich tief getroffen. Wenn ich auch in Krieg und Notzeit Übung im Klauen erworben hatte, so war doch Kameradendiebstahl nicht meine Sache. Die Polizei kam in Nordenham an Bord. Als Beweis, dass ich es gar nicht nötig hätte, Kollegen zu bestehlen, legte ich 600 DM auf den Tisch. Die konnte ich aber kaum von meiner kleinen Heuer erspart haben. So kam die Sache mit dem Schmuggel ans Licht. Der Kapitän meinte nur noch: „Schmuggler kann ich an Bord nicht gebrauchen. Damit ist das Arbeitsverhältnis beendet.“ So mußte ich in Nordenham abmustern.
Dann kam ich auf einen kleinen Tanker mit Namen "ECKELMANN" der Reederei Karl Eckelmann. In Liverpool stieg ich Ende 1953 als Decksjunge ein. Ich war 16 Jahre alt und blieb ½ Jahr an Bord. Dann folgten einige Kümos. Meistens blieb ich sechs bis acht Monate an Bord. In der deutschen Seefahrt war es damals üblich, sich ein neues Schiff zu suchen, nachdem man abgemustert hatte. Man ging dann zu Max in den Heuerstall und bekam einen neuen Dampfer. Max kannte jeder Seemann dieser Jahre und Max kannte alle seine Seeleute. 1955 wurde ich Vollmatrose. Es folgten dann größere Schiffe. Es ging ins Mittelmeer, in die Karibik, nach Südamerika. Auf der "GERD HOWALD" der gleichnamigen Reederei fuhren wir 1955/56 leer von Rotterdam nach Venezuela und dann zehn Stunden lang den Orinoco hoch bis Porto Ordaz, um Erz für Wilmington oder Norfolk zu nehmen. Mit Billigkohle für die Verstromung ging es dann zurück nach Rotterdam.
Mit mir war ein Matrose namens Günter Marxen aus Flensburg an Bord, ein ganz feiner Kerl. Er hatte höhere Schulbildung. Der sagte eines Tages zu mir: „Willi, du kommst jetzt mit mir nach Elsfleth und meldest dich mit mir zur Seefahrtsschule an.“ Ich sträubte mich: „Das Zeug habe ich nicht.“ Da er ein Kerl von 1,90 m war und muskulös, bin ich dann doch widerstandslos mitgegangen und habe meinen Antrag abgegeben. Da war ich 19 Jahre alt. In der Schule herrschte großer Andrang. Über 300 Neulinge starteten. Der Schulleiter, Kapitän Kruse, ein hervorragender Mensch, kam vom Bremer Lloyd. Die Dozenten haben es gar nicht gescheckt, dass ich durch die Ausfälle im Krieg praktisch nur das Wissen von sechs Jahren Schulzeit mitbrachte. Im ersten Semester fiel ich durch. Ich hatte wenig Geld gespart, da ich meine Mutter immer noch regelmäßig unterstützte. Aber die Wege des Herrn sind bekanntlich unergründlich. Ich gewann im Lotto. Meine Mutter war inzwischen nach Amerika ausgewandert. Sie schickte mir Geld. Das habe ich ihr später auf Heller und Pfennig zurückgezahlt. 1960 bestand ich im Alter von 22 Jahren mein Patent und stieg als 3. Offizier bei der Reederei Willi Bruns auf dem Fruchtschiff „Quadriga“ ein. Mit diesem so genannten „Bananenjäger“ holten wir aus Argentinien Äpfel und aus Santos Apfelsinen für Rotterdam oder auch mal für Riga. Fruchtschiffe transportieren eine sehr empfindliche Fracht. Bei Temperaturen um +3° bis 4° C werden die Früchte in einem Schlafzustand gehalten, Bananen bei 11°. Dazu werden Salzlaugen durch die Kühlschlangen gepumpt. Die Früchte brauchen etwas Sauerstoff, aber dürfen auch nicht zu viel davon bekommen. Wenn die Kühlung nicht genau eingehalten wird, kann durch Überreifung oder Frost schnell ein riesiger Schaden entstehen. Gelbe Bananen lassen sich nicht mehr verkaufen, sondern gehen gleich für Appel und Ei an die Schweinemäster in die Vierlanden. Es wurden die Temperaturen zweimal täglich festgehalten, um die Kontrollbücher später den Händlern und ihren Lebensmittel-Chemikern vorlegen zu können. So war es meine Aufgabe, ständig die Temperaturen auf den etwa 300 Fahrenheit-Thermometern in den Laderäumen zu kontrollieren. In meiner Wärmeschutzkleidung eilte ich im Laufschritt anderthalb Stunden lang durch die engen halbdunklen Gänge zwischen der Ladung und die Leitern auf und ab und notierte die abgelesenen Temperaturen in die Listenformulare. Hier war mal ein Luftschacht zu schließen, dort zu öffnen. Ich war jung und als Nautiker noch unerfahren. Um mich am Anfang in dem Labyrinth zurechtzufinden, hatte ich mir mit Kreide Richtungspfeile angezeichnet. Als ich trotz meiner Wegweiser eines Tages ständig im Kreis herumlief und für meine Tour eine Stunde länger brauchte, merkte ich, dass mir die Leute aus der Maschine einen Streich gespielt und die Pfeile verändert hatten. Solche groben Späße pflegte man mit jedem Neuling zu treiben. Ich war zu der Zeit aber noch sehr sportlich und durchtrainiert, so dass ich das gut überstand. Als wir nach der Atlantiküberquerung und der Reise um Jütland in Richtung Riga hinter Kopenhagen bei der Einfahrt in den Großen Sund den Leuchtturm von Drokten vor uns hatten, hatte ich Brückenwache. Wir hatten Sommerwetter wie auf der Alster. Unser Kapitän führte das Schiff erst seit kurzer Zeit. Vorher war er ein hervorragender Erster Offizier gewesen. Er war ein feiner Mensch, aber es war allen bekannt, dass er Alkoholiker war. Er hatte wieder mal gefeiert und mindestens 3 %o im Blut, als er um 9.30 Uhr auf die Brücke kam. Ich rief ihm zu: „Kapitän, wir fahren falsch. Die Tonne dort muss auf Backbord bleiben. Geben sie sofort „hart Steuerbord“ und „Maschine voll zurück“. Er hätte eine Brille gebraucht und sah keine Tonne. Außerdem war sein Reaktionsvermögen durch den Alkohol stark verzögert. Bis er reagierte, vergingen kostbare drei bis fünf Minuten, in denen das Schiff noch zu retten gewesen wäre. Er konnte sich nicht entscheiden. Wir fuhren 18 Knoten und waren voll mit Apfelsinen beladen. Dann rumste es kurz für zehn Sekunden. Wir hatten einen Felsstein auf dem Grund unter uns geschleift. Der Zimmermann peilte die Tanks: Kein Wassereinbruch. Wir konnten die Reise nach Riga fortsetzen. Als später die Taucher in Riga den Schaden untersuchten, stellte sich heraus, dass der Schiffsboden über 60 Meter von vorne bis hinten eingebeult war. Auf seiner Schreibmaschine formulierte der Kapitän: „Ich trage für den Vorfall die volle Verantwortung und stehe für die Schuld ein.“ Er tat mir leid. Ich meinte zu ihm: „So können Sie das nicht stehen lassen. Dann sind Sie Ihr Patent los. Ich setze ihnen das mal ganz neu auf.“ Und dann schrieb ich etwas von einem Fischerboot und dramatischen Ausweichmanövern, um keine Menschenleben zu riskieren. Nach dem Löschen ging es in die Deutsche Werft nach Hamburg. Die Kollegen gaben mir die Schuld an dem Schaden in Millionenhöhe. Bei dieser Reederei konnte ich deshalb keine Kariere mehr machen und so kündigte ich.
Danach bekam ich ein kleines Schiff als 2. Steuermann. Mit dem Sextanten konnte ich sehr gut umgehen. Dann fuhr ich mit einem kleinen Schiff als Erster in die Karibik. Bei Stinnes war ich auf einem Seatramper. Auf der Rückreise von der Karibik nach Europa sollten wir die Azoren anlaufen, um von dort Ladung mitzunehmen. Morgens bekamen wir über UKW ein Telegramm vom Hafenmeister. Darin hieß es, der von uns angesteuerte Hafen sei „canceled“. Meine Englischkenntnisse waren damals miserabel. Ich verstand den Sinn der Mitteilung nicht und wartete, bis der Kapitän auf der Brücke erschien. Derweil fuhren wir weiter auf diesen Hafen zu. Als der Alte mich dann aufklärte und meinte, ich hätte längst den Kurs ändern sollen, war mir das dermaßen peinlich, dass ich beschloss, alsbald meine katastrophalen Lücken in Englisch zu schließen. Ich flog zu meinen Verwandten in die USA. Zwei Brüder, vier Schwestern und meine Mutter lebten in der Nähe von Buffalo. Dort jobbte ich von 1962 bis 1966 als Mechaniker zweiter Klasse bei Eastman-Kodak in einem Riesenwerk mit 38.000 Angestellten in Rochester am Ontario-See, verdiente gut, zahlte meine Schulden an meine Mutter zurück und sparte für den Besuch der Seefahrtschule. Ich habe nicht geraucht und nicht getrunken und steckte jeden Cent in den Socken. Mit einer ordentlichen Marie in der Tasche kehrte ich nach Deutschland zurück und wollte das A 6-Patent zu machen. Da lief mir so ein altes Mädchen über den Weg und brachte alle meine Pläne durcheinander. Ich heiratete sie noch 1966. Meine Ersparnisse gingen drauf und aus dem Schulbesuch wurde nichts. Aber die Ehe war von vorn herein zum Scheitern verurteilt.
Bei „Plünnen-Peters“ stieg ich als 1. Offizier auf das älteste Schiff der deutschen Handelsflotte, die "HILDEGARD PETERS", und blieb dort zwei Jahre. Der Dampfer hatte während des Krieges vor Norwegen auf Grund gelegen. Peters machte sein Geld nur mit solchen Kathastrophen-Schiffen. An seine Baptistenkirche soll er großzügige Spenden gemacht haben, aber er hatte nicht das Geld für einen Kühlschrank für unser Schiff übrig. Wir lagen in Hartlepool und löschten Grubenholz aus Archangelsk. Da kam ein Inder mit großem Turban und Vollbart an Bord und bot seine Hellseherkenntnisse feil: „Ich will dir deine Vergangenheit sagen und deine Zukunft deuten. Dein erstes Schiff hieß Olga.“ Mit einem Bleistiftstummel schrieb er mir dieses Wort „Olga“ auf einen Zeitungsrand. Kein Mensch an Bord und in meinem Umfeld wusste etwas von dieser Olga. Das war für mich Beweis für seine Künste. Dann sagte er: „Deine Ehe wird geschieden werden.“ Ich fragte spontan: „Wann?“ Er: „Jetzt. Nächste Woche wirst du versetzt und kriegst ein neues Schiff. Dann wirst du nach Hause fahren. Eine Frau wird deine Ehe kaputtmachen.“ Dort lag schon der Brief von ihrem Rechtsanwalt für mich, in dem mir die Scheidung angekündigt wurde. Ihre Tante, eine raffinierte Geschäftsfrau, die immer im Nerz herumlief und darunter ein dreckiges Kleid trug und direkt aus der Buddel ihren „Alten Senator“ soff, hatte sie dazu überredet und wollte mit ihr ein Café eröffnen. Mit der Scheidung war auch mein Schicksal vorprogrammiert. Seither lebte ich an Land in Seemannsheimen. In allem, was mir der alte Inder prophezeite, behielt er recht. Nur eins steht noch aus. Er meinte, ich werde nicht in meinen Heimatland sterben. Da muss ich nun noch abwarten, ob er auch in diesem Punkt präzise war. Ich war dann noch einmal in England verheiratet. Da diese Partnerschaft aber gestört ist, lebe ich zur Zeit wieder in Hamburg im Seemannsheim.
46 Jahre Seefahrtszeit liegen hinter mir. Nur einmal führte ich für kurze Zeit ein Schiff als Kapitän. 1980 erlebte ich vor der schottischen Westküste einen Schiffsuntergang mit. Nach einem Unfall an der Kniescheibe habe ich einen Miniskusschaden. Mein letztes Schiff hatte ich vor einem Jahr. Als Alleinsteuermann nachte ich eine Urlaubsvertretung nach Marokko.
Willi Krüger ist inzwischen verstorben.
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